Wie ein demokratisches Instrument funktioniert, wann es greift – und warum Bürgerinnen und Bürger dabei eine besondere Verantwortung tragen.
Auf den ersten Blick wirkt ein Abwahlverfahren wie ein scharfes Schwert der Demokratie. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch: Es handelt sich um ein komplexes Verfahren mit klaren Regeln und zahlreichen Hürden. Es ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern, Amtsträger noch vor Ablauf der regulären Amtszeit abzuwählen, wenn das Vertrauen verloren geht.
Alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt sollten sich im Falle eines Bürgerentscheids sachlich informieren, ihre Entscheidung bewusst abwägen und sich aktiv beteiligen. Die nächste reguläre Bürgermeisterwahl ist für 2028 geplant.
In Niesky begann der Prozess auf ungewöhnliche Weise: Zunächst äußerten Teile des Stadtrates Unzufriedenheit mit der Arbeit von Oberbürgermeisterin Kathrin Uhlemann. Womit genau, ist bislang nicht öffentlich geklärt. Unser Artikel erklärt sachlich, wie ein Abwahlverfahren abläuft, welche Hürden bestehen und welche Chancen und Risiken es birgt.
1. Was bedeutet Abwahl?
Eine Abwahl ist der Entzug eines Mandats oder Amtes mittels Stimmabgabe durch diejenigen, die das Amt zuvor gewählt haben. Sie unterscheidet sich klar von anderen Mechanismen:
- Rücktritt: freiwillig, oft aus persönlichen oder politischen Gründen
- Misstrauensvotum: parlamentarisch, zwingt die Regierung oder den Bürgermeister zum Rücktritt
- Amtsenthebung: meist gerichtlich bei Pflichtverletzungen oder Rechtsverstößen
Das Abwahlverfahren hingegen ist ein demokratisches Instrument, mit dem Bürgerinnen und Bürger selbst über den Verbleib eines Amtsinhabers entscheiden können. Es ist ein Mittel der politischen Kontrolle und der Mitbestimmung auf kommunaler Ebene.
2. Wer darf wen abwählen?
In Sachsen regelt § 51 der Sächsischen Gemeindeordnung die Abwahl von Bürgermeistern. Entscheidend ist nicht ein bestimmter Sachgrund, sondern das Zustandekommen eines Bürgerbegehrens oder eines Ratsbeschlusses.
- Bürgerbegehren: Mindestens ein Drittel der Bürger müssen unterzeichnen; in Großgemeinden mindestens ein Fünftel. Die Mehrheit der gültigen Stimmen muss mindestens 50 % der wahlberechtigten Bürger betragen.
- Gemeinderat: Mindestens drei Viertel aller Mitglieder müssen zustimmen. Eine Aussprache vor der Beschlussfassung ist nicht vorgesehen.
Inhaltliche Kriterien gibt es nicht: Maßgeblich ist das Vertrauensverhältnis und die politische Legitimation des Amtsinhabers. In Niesky ist die Oberbürgermeisterin von der Beratung und Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens ausgeschlossen.
3. Der Weg zur Abwahl
Typische Schritte:
- Antragstellung / Initiative
- Prüfung der Zulässigkeit
- Durchführung des Bürgerentscheids
- Ergebnis und Folgen
Das Verfahren ist formal stark geregelt und soll sicherstellen, dass es nicht leichtfertig ausgelöst wird.
4. Möglichkeiten des Bürgermeisters
Die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister kann die Rechtmäßigkeit eines Ratsbeschlusses oder Bürgerbegehrens gerichtlich prüfen lassen, z. B. bei Formfehlern, falscher Mehrheit oder fehlerhaften Fristen. Ein ordnungsgemäß durchgeführter Bürgerentscheid ist jedoch nicht inhaltlich anfechtbar; nur formelle Mängel können noch überprüft werden.
Gerichte betonen, dass das Abwahlverfahren Teil der kommunalen Selbstverwaltung und als demokratisches Korrektiv legitim ist. Politisch kann sich der Bürgermeister nur gegen Formfehler, nicht gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger wehren.
5. Rechts- und demokratietheoretische Einordnung
Prinzips der Demokratie: die Kontrolle politischer Macht durch die Bürgerinnen und Bürger. Indem das Volk ein gewähltes Amt auch vor Ablauf der Amtszeit beenden kann, wird das Gleichgewicht zwischen repräsentativer und direkter Demokratie gestärkt. Es ist ein Mittel, um das Vertrauen in die Amtsführung zu sichern, wenn politische Mechanismen im Rat allein nicht mehr greifen.
Gleichzeitig birgt das Instrument Chancen und Risiken:
- Chancen: aktive Bürgerbeteiligung, unmittelbare Korrektur von Fehlentwicklungen, Stärkung der demokratischen Verantwortung und Rechenschaftspflicht.
- Risiken: politische Instrumentalisierung, häufige oder leichtfertige Verfahren können die Stabilität kommunaler Politik gefährden und das Vertrauen in Institutionen schwächen.
Ein korrekt angewendetes Abwahlverfahren erinnert daran, dass politische Verantwortung keine Einbahnstraße ist: Wer gewählt wird, steht in dauerhafter Rechenschaft gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die ihn ins Amt gebracht haben.
6. Fazit
Das Abwahlverfahren erfüllt eine doppelte Funktion: Es dient als politisches Korrektiv und stärkt die direkte Demokratie. Gleichzeitig ist es ein sensibles Instrument, das sorgfältig und verantwortungsvoll genutzt werden muss. Falsch eingesetzt kann es Instabilität erzeugen, richtig angewandt korrigiert es Fehlentwicklungen und festigt das Vertrauen in demokratische Institutionen.
Niesky, 08.10.2025